Abschied.

11. Mai 2012, 19:55 Uhr.

Für diesen Moment, diesen Tag habe ich bereits vor Jahren einen Blog-Eintrag geschrieben. Oder besser. Einen Abschiedsbrief. Im August 2007, um genau zu sein.
Wenige Tage zuvor hatte mein Vater die Diagnose Krebs bekommen. Mit der Ansage: Sie werden nur noch wenige Wochen leben.
Wenige Wochen.
Es waren am Ende 242 Wochen.

Aber dieser Abschiedsbrief im August vor fünf Jahren half mir. Es ging darin weniger um ihn als um mich und unser gemeinsames Verhältnis.
Und darum, was es bedeuten wird, Abschied zu nehmen.
Und es mag sich seltsam anhören, aber ich habe damit bereits damals Abschied genommen.

Ich wußte, irgendwann wird das Telefon klingeln.
Irgendwann wird es diese eine Nachricht geben, die Du eigentlich nicht hören willst.

Soweit jedoch zu sein, vorbereitet zu sein, hat mir geholfen.
Auch in der Hinsicht, die Besuche bei meinem Vater entspannter zu machen. Und zu schätzen.

Und dann kam dieser Anruf. Vor zwei Jahren, im Februar.
Allerdings war es nicht der, mit dem ich gerechnet hatte.
Denn statt meinem Vater galt er einer meiner (Halb-)Schwestern, Ellen – einem der vier Kinder meines Vaters.

Mein Vater war immer stark. Bezeichnete man ihn als “Familienpatriarch” wäre das in meinen Augen eine annehmbare Beschreibung.
Er war das Familienoberhaupt, sein Wort war Gesetz. Auch wenn es unlogisch, unmöglich oder umständlich war.
Eine Episode macht es vielleicht deutlich: Auf dem Grundstück steht ein Schuppen, der gut 40 Jahre auf dem Buckel hat. Vor vier Jahren entschied mein Vater: Der müsse erneuert werden. Meine Mutter, meine Frau, mein Vater und ich machten uns also ans Werk. Schuppen abreißen, neuen Schuppen bauen. Wäre die logische Variante gewesen, in den Augen von uns “Jungen” und meiner Mutter. Mein Vater meinte, man könne das Dach abstützen, die Pfosten unten wegnehmen, neue setzen und das Dach wieder entlasten. Haben wir am Ende auch so gemacht. Auch, wenn es mehr Zeit, Mühe und Schweiß gekostet hat. Auch wenn wir diskutiert haben. Aber Gesetz ist Gesetz …

Seit November letzten Jahres verschlechterte sich der Zustand meines Vaters zusehens.
Und insbesondere in den letzten Wochen wußte ich manchmal nicht, für wen er da noch kämpft. Oder ob er überhaupt noch bewusst kämpft. Aber er tat es, wider aller Prognosen. So wie immer.

Geboren am 15. Mai 1928 in Borna erlebte mein Vater fast 84 Jahre Geschichte.
Er demonstrierte gegen das Dritte Reich und landete deswegen am Ende des Zweiten Weltkriegs statt an der Front im Jugendgefängnis. Türmte am Ende des Kriegs zusammen mit einem Freund von dort und marschierte nach Hause. Kämpfte sich durch die Jahre des Wiederaufbaus, lernte den Beruf des Bierbrauers, kehrte in seine Heimatstadt Eisenberg/Thüringen zurück um das Pferde-Fuhrgeschäft seines Vaters zu übernehmen, heiratete, bekam zwei Töchter, baute sich in der DDR eine Existenz als Selbständiger Fuhrunternehmer auf. Verweigerte das Parteibuch ebenso wie Linientreue. Lernte meine Mutter kennen, lies sich scheiden, bekam zwei Söhne. Während der Wendezeit schaffte er es mit Geschick sein Unternehmen in die neue Zeit zu überführen und erfolgreich zu bleiben. Auch, wenn er am Ende im Kapitalismus scheiterte, weil sein Vertrauen auf das Wort in einem einzigen Fall nicht belohnt wurde. Er bekam Krebs, lebte fünf Jahre noch einmal ein zweites, entspanntes Leben und genoss die Tage neu. Er verlor vieles auf seinem Weg, und viele. Nebst seiner Tochter, seinen Schwestern vielen Weggefährten. Was er nie verlor war der Wille zum Leben.

Nur reicht der am Ende auch nicht zur Unsterblichkeit.

Mein Vater. Starb am 11. Mai, 19:55 Uhr.

Danke, Papa. Und, wenn es dieses Leben nach dem Tod wirklich gibt, sehen wir uns wieder – vielleicht haben wir ja dann den Mut, über alles zu sprechen, wenn wir beiden alten Sturköpfe weich genug sind …
Bis dahin, In Liebe und Gedenken!

Stoppt jede Uhr, lasst ab vom Telefon.
Verscheucht den Hund, der bellend Knochen frisst, die roh’n.
Klaviere sollen schweigen, und mit gedämpftem Trommelschlag,
lasst die Trauernden nun kommen, bringt heraus den Sarg.

Er war mir Nord, mir Süd, mir Ost und West,
Meine Arbeitswoche und mein Sonntagsfest.
Mein Gespräch, mein Lied, mein Tag und meine Nacht,
Ich dachte, Liebe währet ewig: Falsch gedacht.

Lasst Flugzeuge kreisend klagend im Abendrot,
An den Himmel schreiben die Nachricht: Er ist tot.
Straßentauben gebt um den Hals starre Kreppkragen,
Polizisten lasst schwarze Handschuh’ tragen.

Sterne sind jetzt unerwünscht, löscht jeden aus davon.
Verhüllt auch den Mond und reißt nieder die Sonn’.
Fegt weg den Wald und des Meeres Flut,
Nie wird es sein, so wie es war. Nie wieder gut.

nach W. H. Auden

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