Geboren in Karl-Marx-Stadt

Was mir bei gerade erwähntem Artikel in der MOBIL so richtig aufgefallen ist hat mit dem eigentlichen Artikel eigentlich nichts zu tun:
Im Kleinporträt der Autorin steht weiß auf grau: „1977 in Karl-Marx-Stadt geboren„.
Mein erster Gedanke ging in Richtung verbitterter Neubundesbürger, der es nicht lassen kann einer Stadt die heute ihren wirklichen Namen Chemnitz wieder mit gebotenem Anspruch und Stolz trägt, mit ihrem alten, sozialistischen Abbild zu bemalen, welchem sie aus ihrem Selbstverständnis heraus nie gerecht werden wollte.

Eine Sekunde später allerdings dachte ich, Frau Fuchs sei zu jung um verbittert zu sein und ich fragte mich, wieviele Chemnitzer tatsächlich noch ‚Karl-Marx-Stadt‚ in ihren Lebenslauf schreiben.
Welcher Chef nach dem Lesen einer entsprechenden Bewerbung Stunden damit verbringt diesen Ort auf der Deutschlandkarte zu suchen und irgendwann zweifelnd aufgibt.
Ist es tatsächlich gekränkter Ost-Stolz oder doch letzlich nur bürokratisch korrekt?
Chemnitz gab es faktisch nicht im Jahr 1977. Demnach kann man zu dieser Zeit auch nicht in Chemnitz geboren werden?!
Befremdlich ist das Lesen eines im Zuge der deutschen Wiedervereinigung aus dem Gedächtnis gelöschten Stadtnamens trotzdem. Ähnlich wie das blättern in alten Bildern aus Jena, Gera, Leipzig, Dresden oder Rostock. Alles ist gleich, und doch neu. Alles im Kopf und doch irgendwie fremd.


[Update] Ein wenig recherchiert, und siehe da: Zumindest ganz offiziell muss man tatsächlich von Karl-Marx-Stadt sprechen … Jetzt frag ich mich: Muss man damit so konsequent sein, dass man auch im „normalen“ Leben diese Bezeichnung nutzt …?!

6 Kommentare

  1. In dem Falle ist „Karl-Marx-Stadt“ korrekt. Idealerweise könnte man bei der Angabe noch hinzufügen:“heute Chemnitz“. Ausserdem, was ist an Karl-Marx-Stadt so schlecht? Nesselwang, München, Bad Tölz, Nürnberg oder Berchtesgaden haben eine ganz andere Geschichte!
    Grüsse
    Frank
    —–

  2. „Jetzt frag ich mich: Muss man damit so konsequent sein, dass man auch im “normalen” Leben diese Bezeichnung nutzt …?!“

    Und ich frage mich, warum man sich so eine Frage stellt?
    Möglich, dass der Verfasser ein Problem mit der Geschichte der DDR hat?

  3. Der Verfasser als in der DDR Geborener hat sicherlich keine Probleme mit der Identität, mit der Geschichte der DDR durchaus schon … Wer einen totalitären Staat toll findet hat ein größeres Problem als ich mit dem Namen „Karl Marx Stadt“ 🙂

  4. Da hättste mich auch fragen können. Ist doch auch logisch, 1977 kann man nicht in Chemnitz geboren sein, denn 1977 gab es kein Chemnitz.
    Hier, ganz in der Nähe von Chemnitz, wird das Problem übrigens ganz elegant durch Mundart gelöst: wir nennen und nannten die Stadt in der Umgangssprache schon immer „Chems“ bzw. „Chams“. Das stand zu DDR-Zeiten entweder für Chemnitz oder für KArlMArxStadt, je nach dem, wie man es verstehen wollte.

  5. im übrigen stand auch in ddr-personalausweisen „chemnitz“ (wenn ich mich richtig erinnere, mit dem zusatz „jetzt karl-marx-stadt“) als geburtsort, wenn der-/diejenige vor 1954 geboren wurde. und in bundesdeutschen personalausweisen steht ebenfalls karl-marx-stadt, wenn man in dieser zeit geboren wurde. ist doch kein thema.

    @jörg: chems und chams kenn‘ ich gar nicht.

  6. Es geht mir doch auch nicht um Ausweise; sondern ein gewisses Selbstverstädnis. Ich sage doch auch nicht „ich komme aus der DDR“, ich sage „Ich komme aus Deutschland“. Ich bin kein DDR-Bürger, auch wenn ich in der DDR geboren wurde. Gleiches gilt in meinen Augen eben auch für Karl Marx Stadt/Chemnitz. Ich rede auch nicht, dass vor 20 Jahren in Karl Marx Stadt etwas passiert ist, sondern dass das in Chemnitz passierte, auch wenn es Chemnitz damals dem Namen nach nicht mehr gab …
    Jetzt klar was ich eigentlich meine, und was mir an der kleinen Bio aufgefallen ist? Ich verurteile es nicht, mir ist es eben nur aufgefallen …

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