Kühne Zukunftsvisionen werden [in Asien] entworfen und umgesetzt, und sie beflügeln die Menschen zu immer neuen Leistungen. Was sehe ich dagegen in Deutschland? Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft. Was ist los mit unserem Land? […] Wir müssen jetzt eine Aufholjagd starten, bei der wir uns Technologie- und Leistungsfeindlichkeit einfach nicht leisten können. […] Es ist bereits viel Zeit verloren gegangen. Niemand darf aber vergessen: In hochtechnisierten Gesellschaften ist permanente Innovation eine Daueraufgabe! Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland.
Auszug aus einer guten, einer wichtigen und wegweisenden Rede, die unser Bundespräsident gehalten hat. Einer vieldiskutierte Rede. Eine, mit der ein Ruck durch Deutschland gehen wird!
Oder?
Denn diese Rede hielt nicht Bundespräsident Joachim Gauck heute, sondern Roman Herzog – am 26. April 1997.
Auf den Ruck wartet Deutschland seit 1997
Hat es geruckt? Hat die Wissensgesellschaft, die Herzog vor 17 Jahren angemahnt hat, in Deutschland Einzug gehalten?
Soweit ich das sehe: Nein.
Roman Herzogs Ruck-Rede hat damals für viel Aufsehen gesorgt. Für zahlreiche Artikel, Visionen und weitere Reden. Geblieben oder gar bewirkt hat es nichts. 17 Jahre später reden wir noch immer. Lassen uns für dumm verkaufen – von einer Politik die nicht Herzogs Blick ins morgen sondern der Angst von gestern folgt. Was bisher geschaffen wurde, ist ein Witz. Es werden Einträge ins Hausaufgabenheft gemacht, digitale Agenda geschrieben, Reden gehalten. Die aber sind von einem Handeln ebenso weit weg wie von frischen Ideen. Wir haben beides nicht – keine geschaffenen Realitäten und noch weniger eine Vision.
Eine Generation von Kindern lang ist faktisch nichts passiert. Der digitale Alltag hat Einzug gehalten – und wir ruhen uns noch immer auf dem aus, was 1997 erschaffen war. Seitdem hat es jede Regierung versäumt mit der Technologie und den notwendigen Entwicklungen wenigstens Schritt zu halten – vom vorauseilen will ich nicht einmal anfangen zu schreiben.
Fast zwei Jahrzehnte nachdem Herzog anmahnte, dass wir uns der digitalen Herausforderung stellen müssen, gibt es noch immer Gegenden in Deutschland, die kein Internet haben. Nicht, weil sie es nicht wollen – sondern, weil Deutschland seit Jahren mit dem Ausbau hinterher hinkt. So war bis vor zwei Jahren das Dorf, auf dem ich wohne mit gerade einmal 300 kb/s angebunden – und das, obwohl ich nur 15 Kilometer außerhalb der größten Stadt Sachsens und einen Kilometer entfernt von Europas größtem DHL Hub wohne.
Digitale Bildung genießt in Deutschland keine Priorität
Während Schüler in Süd-Schweden auf Gemeindekosten flächendeckend mit iPads ausgestattet werden, teilen sich an unseren Schulen 11 Kinder einen alten PC. Das sind die gleichen Werte wie vor acht Jahren! Selbst in Thailand oder Chile kommen Computer häufiger im Unterricht zum Einsatz als im “Technologieland” Deutschland.
Fächer, die dringend notwendig wären, fehlen vollständig im Lehrplan. Und dabei meine ich nicht einmal das in England eingeführte und (u.a.) von Nico Lumma zu Recht so häufig geforderte Lehrfach Programmieren/Computing. Ich meine die bildenden Bestandteile, die Medienkompetenz vermittelt oder Kinder lehrt, wie man lernt. Blicke ich auf den Lehrplan meines 13jährigen Sohnes findet die digitale Welt dort genau in diesem Umfang statt: Null.
Ein Drittel der Achtklässler haben keine Ahnung im Umgang mit Computern. Das ist ein absolutes Warnsignal.
Deutschland verpasst die Digitalisierung. Und das auf so vielen Ebenen! Es braucht ein digitales Innovationsprogramm – für Schulen ebenso wie die Industrie. Wir dürfen uns nicht weiter auf den Lorbeeren des letzten Jahrhunderts ausruhen. “Made in Germany” und “Exportweltmeister” sind zwei Worte die oft genutzt werden – aber an Wert verlieren, wenn wir es nicht schaffen diese ins digital Zeitalter zu übersiedeln. Gerade im Internet sind nämlich diese beiden Begriffe in keiner Weise ein Spiegelbild der realen Industrie – Web-Innovationen und Industrie 4.0-Bewegungen die aus Deutschland kommen sucht man mit der Lupe.
17 Jahre sind die Worte Roman Herzogs alt.
“Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen!”
Diesmal muss es das wirklich, sonst verliert Deutschland, verlieren wir und vor allem unsere Kinder.
Wo fangen wir an?
// UPDATE
Witzigerweise hat Mirko Kaminiski heute zum gleichen Thema etwas erzählt:
Bild: Dennis Skley, flickr CC Lizenz