Prolog

„Ich wage zu bezweifeln, dass Sie dazu in der Lage sind“, hörte ich mein Gegenüber sagen. Und auch wenn die Worte in mein Ohr gelangten,  in meinem Kopf kamen sie nicht an. Ich kämpfte weiter. Kämpfte gegen seine Überzeugung, kämpfte gegen die Männer die mich hielten, und kämpfte gegen mich selbst. Doch es war aussichtslos. Tief in meinem Inneren wusste ich es, verweigerte aber trotzdem hartnäckig die Anerkennung dieses Gedankens. Es ist diese Verweigerung, die einen angesichts des eigenen bevorstehenden Todes davon abhält das ganze beschissene Leben noch mal an einem vorüber ziehen zu lassen. In meinem Fall würde es sowieso nur darin enden, dass ich im Bedauern ob der vergeudeten Lebenszeit wimmernd am Boden kauern würde. Dann doch lieber so. Kämpfend, wehrend. Und mit diesem verfickten Klugscheißer vor Augen, der blöde grinsend weiß, dass er Recht hat. Recht damit, dass sich all die Gegenwehr und bösen Worte die meinen Mund verlassen am Ende nicht auszahlen werden. Nicht für mich. Nicht für denjenigen den zwei Hulk Hogan-Verschnitte zur Dachkante schleiften.
Ok. Nochmal durchatmen. Vielleicht ist dieses zurückblicken-Ding ja doch so schlecht nicht. Ich meine, besser als 23 Stockwerke weit runter zu schauen und unten den Fleck aus Asphalt zu erkennen, auf dem man gleich landen wird, ist es allemal, oder?
„Noch einen letzten Wunsch?“, fragte Geritt Lasalle.
Blöde Frage. Wie wäre es mit: „Ja, lasst mich laufen“? Eher unwahrscheinlich, ich weiß. Aber einen Versuch wert? Ich entschied mich für die ich-bin-der-starke-Typ-Nummer und beschloss meinem Leben mit einem letzten coolen Spruch ein Ende zu setzen. Ich weiß. Eigentlich nicht die Art, die man mir zutrauen würde. Insbesondere in einer solchen Situation nicht. Aber ich tat es. Ich sagte: „Leck mich, Wixer!“
Er grunzte. Der Typ links neben mir grunzte auch. Und stieß mich.

Es gibt für jeden Mist auf diesem Planeten eine Formel. Wußten Sie das?
Wäre ich gut in Physik – und Mathe – gewesen, hätte ich anhand einer Formel errechnen können, wie lange ich benötige um vom 23sten Stockwerk des Gebäudes bis auf den Asphalt zu kommen. Ich kannte die Formel allerdings nicht. Aber ich wusste, dass es zwei dafür gab – eine von Isaac Newton, und eine von George Gabriel Stokes. Fragen Sie mich nicht, woher ich es wusste. Ich kann es ihnen nicht sagen. Aber mein Hirn ist voll von derlei Informationsmüll. Wenn Sie mich hingegen nach dem Geburtstag meines Sohnes fragen würden – nun, den könnte ich Ihnen nicht sagen. Ich glaube es war der 23. Mai. Jahr? Mmh, vier müsste er jetzt sein. Dann wäre das Ja… Autsch!

Nein. Autsch eigentlich nicht. Sie verlieren während des freien Falls irgendwann das Bewusstsein. Ich habe es zumindest getan. Wahrscheinlich eine Art Selbstschutz. Keine Ahnung. Lassen Sie sich das doch bei Gelegenheit von ihrem Arzt mal erzählen.
Ich verlor es. Doch bevor ich das tat gab es tatsächlich diesen Augenblick. Diese Sekunde, die vor dem geistigen Auge alles noch einmal zeigt. All den Bockmist, den man mit dem eigenen Leben angefangen hat. Und bei mir war es schon erstaunlich, dass all das in diese eine Sekunde passte. Ich wette, Sie brauchen länger, um diese meine Geschichte zu lesen. Deswegen: Lassen Sie uns anfangen.

Mein Name ist Ephram McList. Ich bin – oder war? – 29 Jahre. Und ich bin ein Feigling. Einer der Typen, die abhauen, wenn es ernst wird. Im Leben, auf der Arbeit, in der Liebe. Gebracht hat es wenig. Sonst würde ich wohl kaum gerade Flugstunden nehmen. Aber fangen wir vorn an, ja?

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