„Public-Shaming“ – Dürfen Eltern ihre Kinder online präsentieren?

Wie weit können Eltern moralisch und rechtlich gehen, wenn sie Bilder und Videos ihrer Kinder ins Netz stellen? Wie weit können und dürfen sie gehen, wenn diese Bilder und Videos ihre Kinder Bloßstellen? Die Antwort darauf ist schwieriger zu finden, als man denkt.
Das Problem beleuchtete Iwona Wisniewska vor einiger Zeit einmal im Standard: „Public Shaming: Wenn Eltern ihre Kinder im Web bloßstellen„.

Ich persönlich habe mich nach meinen ersten Jahren im Netz dazu entschlossen, meinen Kindern in den Weiten des Internets überhaupt keinen Platz einzuräumen. Dabei ist es nicht einmal der Gedanke an seltsame Facebook-Seiten, die den Ausschlag dafür gegeben haben. Sondern allein der Gedanke, was meine Kinder davon halten, wenn sie in einigen Jahren ihre Baby-Tagebücher im Netz finden.
Wir Eltern wissen können nicht abschätzen, welche Auswirkungen es (auf unsere Kinder) hat, wenn sie sich in einem dutzend Jahren auf Baby-Badebildern wiederfinden, die im Netz stehen. Oder auf den Handy-Displays ihrer Schulkameraden.

So habe ich 2001 einen durchaus emotionalen Post zur Geburt meines Sohnes ins Internet geschrieben. Inklusive eines Bildes von ihm. Wie er das heute wohl findet? Wie er es heute wohl finden würde, wenn seine Freunde diesen Beitrag lesen und ihm sein Bild zeigen – ein ganz persönliches Bild?
Und dabei ist der Inhalt noch nicht einmal aktiv bloßstellend.
Im Gegensatz zum Blog einer US-Mutter beispielsweise, welches im letzten Jahr die Runde in sozialen Netzwerken machte: „Reasons my son is crying“ dokumentiert in Bildern Kinder die weinen. In den üblichen Situationen, in denen kleine Knirpse nun einmal weinen. Wenn ihnen etwas nicht passt, ihnen die Füße weh tun oder sie eben mal wieder diesen Weltschmerz fühlen.

Das Thema „Mobbing im Internet“ wird für viele Eltern zu einem wichtigen Thema, wenn das eigene Kind in die Pubertät kommt. Und gleichzeitig werden tausende Kinder im Netz direkt von Eltern bloßgestellt – ohne Hintergedanken, aber sie machen es damit nicht einfacher. Sie bieten die Fläche, damit zum Beispiel Mitschüler das eigene Kind angreifen können. Und das ausgerechnet dort, wo Kinder am meisten beschützt werden und Vertrauen haben sollten: In der eigenen Familie. Mit der Veröffentlichung von Bildern und detaillierten Berichten hebelt man diese Schutzfunktion und Vertrauensbasis aus.

Sicherlich ist ein Szenario denkbar, in dem sich die Kinder mit Babyfotos gegenseitig „schachmatt“ setzen. Doch dafür müsste das Leben eines jeden Kindes online dokumentiert werden. So lange dies nicht der Fall ist – und Gott bewahre, dass es das ist -, ist derjenige im Vorteil, dessen Babyfotos nicht im Netz zu finden sind.

Natürlich finde auch ich Videos von „Amerikas süßestem Lügner“ lustig, blogge gar darüber. Aber moralisch ist das eigentlich nicht ok – insbesondere dann nicht, wenn ich Videos und Bilder meiner Kinder aus dem Netz fern halte, eben weil ich befürchte, dass es „gegen“ sie eingesetzt werden könnte.
Ich ging vor 10 Jahren soweit und habe alle bis dahin online befindlichen Bilder meines damals dreijährigen Sohnes aus dem Netz entfernt. Auf die Nennung der Namen meiner Kinder im Netz verzichte ich seit Jahren grundsätzlich.

Natürlich ist die Dokumentation all dessen – der lustigen wie frustrierenden, der schönen wie täglichen Situationen – mehr als nachvollziehbar. Natürlich ist es verständlich, wenn stolze Eltern ihre Freude, Begeisterung und ihre lustigen Momente mit ihren Kindern mit der Welt teilen wollen.
Ich habe neulich erst – ohne Namensnennung des Jungens – eine Szene mit einem Freund unseres ältesten Sohnes verbloggt. Aber wie weit dürfen wir als Eltern eigentlich gehen?
Während die viel geforderte und wachsende Medienkompetenz bei Jugendlichen mehr uns mehr dazu führt, dass sie bestimmte Bilder zum Beispiel über Snapchat nur für wenige Sekunden ihren Freunden zugänglich machen und sich im Netz sonst zurück halten, verbloggen, -youtuben und -twittern wir Eltern jedes intime Detail über sie.

Ich versuche, meine Kinder aus meinem Online-Leben raus zu lassen. Das ist nicht leicht, und es gelingt mir nicht vollständig – ab und an twittere ich dann doch noch etwas über K1, K2 und K3 (wie sie liebevoll genannt werden). Aber ich versuche, mir vorzustellen, wie sie mit 13 (so alt ist mein ältester Sohn jetzt), 14, 15 Jahren mir wutentbrannt ins Gesicht schleudern: „Ich hasse Dich für die Baby-Badebilder, die Du vor 11 Jahren ins Netz gestellt hast! Ich hasse Dich!“, und die Konsequenz die sich vor allem ihren Klassenkameraden gegenüber daraus ergibt. Das hilft. Denn ich mit 34 Jahren weiß durchaus noch, wie ich vor 16, 17 Jahren war …

P.S.: Dazu auch (der frische) medienrauschen-Artikel: Shop bietet “Jemandes Kind auf deiner Kaffeetasse” an

P.P.S.: Wen die rechtlichen Aspekte an dem Thema interessieren, der kann hier einmal nachlesen. Wie auch Erwachsenen steht Kindern das Recht am eigenen Bild zu – als besonders Schutzbedürftige, die sie sind, obliegt es an uns Eltern, dieses Recht zu Gunsten des Kindes durchzusetzen.
… ich warte ja auf den ersten Prozess eines Jugendlichen gegen seine Eltern 😉

(Aktualisierte Version eines Textes von 2012, der noch immer Aktualität hat)
Bild: Frank Lindecke; flickr CC Lizenz

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