Über das Erinnern.

Vor einer Woche habe ich die NDR Talk Show gesehen. Neben ‘3 nach 9’ würde ich diese durchaus als eine meiner liebsten Runden mit Halb- bis Vollprominenten Gästen bezeichnen.
Wie auch immer. Zu Gast war u.a. Ellen Schwiers. Ein Name, der mir bis dahin nichts sagte, und damit kann ich irgendwie prima leben. Die Dame ist Schauspielerin, spielte in unzähligen Bühnenstücken, in 40 Filmen und 300 Fernsehspielen. Was mich beeindruckt hat, war, wie fit sie ist. Sie ist 82 Jahre jung (wirklich jung) und sagt von sich, trotz all der Höhen und Tiefen Nichts in ihrem Leben zu bereuen.
Bis auf ein Ding – stellt sich im Lauf des Abends heraus: Nichts von all dem niedergeschrieben zu haben.
Kein Roman, keine Autobiografie. Nicht des Veröffentlichens wegen. Sondern ein Tagebuch. Für sich und die eigenen Kinder: “Man vergißt so viel! Deswegen schreiben Sie es auf, auch die Namen – die vergessen Sie als Erstes!”

Dieses Blog war lange Zeit mein Tagebuch. So banal es zuweilen ist, es ist durchaus ein Archiv meines Lebens. In den Anfangsjahren sicherlich weit persönlicher und intensiver als in den letzten Jahren. Das hat Gründe – beispielsweise die, dass ich mittlerweile alt und mit Kindern gesegnet genug bin, um zu der Überzeugung gekommen zu sein, nicht alles Private ins Netz zu packen. Mittlerweile bin ich dahingehend fast schon ein wenig fundamentalistisch (Oha, jetzt ist sicherlich irgendwo ein Lämpchen beim BND angegangen), wenn ich sehe, was manche Eltern von ihren Kindern ins Netz stellen.

Wie auch immer. Seit Ellen Schwiers aber eben diese Feststellung im Fernsehen machte, habe ich nachgedacht.
Und in der Tat. Man vergisst so viel.
Aber ist das schlimm? Ist es wichtig das, was war, zu genießen?
Ich bin schon immer der Typ “hier und heute”, ich plane nicht langfristig, ich blicke nicht zurück.
Natürlich ist es schade, dass man nicht mehr alles weiß – bis auf die handvoll Anekdoten, die jede Mama und jeder Papa über die eigenen Kinder parat hat, ist auch hier vieles verloren gegangen. Aber ich genieße den Augenblick mit meinen Kindern mehr als das Vergangene.

Ist das Schlimm? Haben Kinder ein Anrecht auf Geschichten a la “Als Du noch klein warst …”?

Ich habe über die Worte von Schwiers nachgedacht.
Und angefangen. Notizen vom Tag zu machen. Nicht viele. Nicht lang. Ein kleiner Moleskine Jahreskalender dient mir als Tagebuch.
Und es ist schon erstaunlich: Ich habe vier Tage Abends notiert. Am Freitag habe ich es vergessen. Am Samstag wollte ich es nachholen – und es viel mir schwer, mich zu erinnern. Dabei lag der Tag gerade einmal 24 Stunden zurück.
Das mag jetzt für mein schlechtes Gedächtnis sprechen. Oder meinen banalen Alltag.
Oder für Ellen Schwiers.
Ich bin von Letzterem überzeugt. Und so hoffe ich ein wenig, dass ich es durchhalte. Das Tagebuchschreiben.
Und vielleicht lege ich mir demnächst eines zu, das etwas Größer ist – damit darin auch mal ein Foto oder ein Kassenbon vom gemeinsamen Mittagessen reinpassen. Oder die tolle Grußkarte, die unsere Tochter neulich von ihren ehemaligen Kita-Erzieherinnen anlässlich ihrer Einschulung bekam.

Keine Ahnung, ob ich (wenn ich durchhalte) das Zeug je wieder in die Hand nehme. Das aber ist erst einmal sekundär – ich zumindest will nicht dran schuld sein, wenn sich der 82jährige Thomas Gigold mal auf YouTube beschwert, er hätte lieber mal Tagebuch geführt.

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Ein Kommentar

  1. Ich bin sicher, wenn Du es in 20 Jahren oder so liest, wirst Du Deine Freude dran haben. Ich fand letztens einen Packen vergessener Fotos, kleiner Bastelein der inzwischen erwachsenen Kinder, ihre ersten Grußkarten von den ersten Klassenfahrten, Gemälde auf Papierschnipseln. Wie ein Schadtz kam mir das vor und ich packte es, nachdem ich es mir stundenlang betrachtet hatte, wieder zurück, auf dass ich es in 10 Jahren wieder finde

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